Adiós, Vocho, mein Eselchen  
 
Nach 67 Jahren der endgültige Abschied – wenn in Puebla die letzte Serie des  
VW-Käfer vom Band geht, verliert Mexiko einen wahren Volkswagen  
 
Von Peter Burghardt  
 
Puebla , im Juli – Der Schlüssel steckt, gleich werden sie ihn wegfahren. Raus  
auf den Werksparkplatz, wo schon ein paar hundert Exemplare dieser letzten Serie  
stehen, später auf Lastwagen die 116 Kilometer rauf nach Mexiko-Stadt,  
vielleicht rüber zum Containerhafen von Veracruz und mit dem Frachtschiff nach  
irgendwo. Benjamin Perez streicht über die gebogenen Kotflügel und verchromten  
Scheinwerferfassungen wie ein Stylist über Wangen und Augenlider. Sieht dieses  
Fahrzeug nicht aus wie ein freundliches, etwas tollpatschiges Lebewesen, das  
viel Zuneigung braucht? Ein Arbeiter poliert Kratzer und kleine Flecken,  
Schichtführer Perez kontrolliert das blassblaue Blech, das Spiegelbild zieht  
sein rundes Gesicht in die Länge. „Er soll perfekt sein“, ruft er, „tadellos.“  
 
  
Darauf achtet der klein gewachsene Mann im Dienste von VW Mexiko seit 1971,  
deshalb wird dies für ihn und die übrigen 270 Facharbeiter der Abteilung ein  
sehr persönlicher Abschied. Seit 32 seiner 49 Lebensjahre arbeitet Perez  
wochentags von sechs bis drei Uhr an dieser Schöpfung, die bei den Deutschen  
Käfer heißt, im mexikanischen Prospekt Sedan und bei den Mexikanern Vocho, ein  
nicht übersetzbarer Kosename für Volkswagen. Als Mechaniker hat er auf diesen  
330 Hektar im Norden von Puebla Hunderttausende Trittbretter mit Gummibelag  
montiert und Hunderttausende Stoßstangen mit Blinker. Er war dabei, als hier am  
15. Mai 1981 der weltweit zwanzigmillionste Käfer vom Band ging, bis Ende Juni  
waren es 21531022. An Ausgang 8 begleitet er jetzt noch 57 Vochos pro Tag. Das  
schweißt zusammen. „Ich liebe das Auto, es ist mein Leben“, sagt er, und sicher  
liebt er es noch mehr, seit das Ende der Beziehung naht.  
 
  
Ein paar Gebäude weiter sitzt Thomas Karig in seinem Büro und schaut auf die  
Autobahn, in deren Morgenstau wie üblich Hunderte von bunten Käfern stecken.  
„Letzten Endes ist es eine Business-Decision“, sagt der deutsche PR- Direktor  
der Filiale. Wie Manager das eben so sagen, wenngleich zum Finale auch ihn die  
Wehmut überkommt. „Irgendwie ist es halt ein nettes Auto, sympathisch“, als  
Student hatte Karig selbstverständlich ebenfalls einen Käfer. Eine  
Geschäfts-Entscheidung eben, genauso wie die, 2000 der 14000 Angestellten in  
Puebla zu entlassen, weil der Gesamtverkauf eingebrochen ist. Getroffen wurde  
sie weit weg in Wolfsburg, wo die Zentrale bekannt gab, die Produktion ihres  
berühmtesten und erfolgreichsten Markenartikels in diesem Sommer einzustellen.  
Es lohnt sich nicht mehr, 2002 wurde VW bloß noch 23 000 Käfer los, 1993 waren  
es 100000. Das war abzusehen, und überraschend daran ist wohl vor allem, dass es  
so lange gedauert hat. 67 Jahre.  
 
  
Eine deutsche Geschichte  
 
  
Natürlich ist dies zunächst eine deutsche Geschichte, die Geschichte des  
Unternehmens VW. „Ich hab’ einen Teil davon gelesen“, sagt Fachmann Perez. Er  
weiß von Adolf Hitlers Auftrag und Ferdinand Porsches Exposée vom 17. Februar  
1936 „betreffend den Bau eines deutschen Volkswagens“. Spezialisten kennen auch  
Heinrich Nordhoff, mit dem es nach dem Krieg richtig losging.1953 wurden bereits  
88 Nationen mit dem Wirtschaftswunderschlitten beliefert, am 17.Februar 1972  
übertraf die Nummer 15.007.034 den Weltrekord des Ford T, später bekam der Käfer  
den Titel „Auto des Jahrhunderts“.  
 
  
Die meisten wussten nicht einmal, dass dieses Ding überhaupt noch hergestellt  
wird. Das letzte deutsche Stück steht seit 25 Jahren im VW-Museum, es stammt aus  
Emden, in dessen Hafen 1985 auch die letzten Import-Modelle eintrafen. 1996 war  
Feierabend in Brasilien. Die globalisierte Technik mit ihren Satellitensystemen  
und Turbodieseln ist ja längst hinweggeflogen über den eiförmigen Klassiker,  
obwohl sich die Konstrukteure im Detail alle Mühe gaben. 1972 kam die  
Panorama-Frontscheibe, 1974 der 1,6-Liter-Motor mit 46 PS, 1981  
Halogenscheinwerfer, 1985 Kopfstützen, 1989 die elektronische Zündanlage, 1991  
der Katalysator und 1993 sogar eine Einspritzanlage. In den USA wird der alte  
Beetle nicht mehr zugelassen. In Deutschland bräuchte er unter anderem einen  
Airbag. Nun soll also auch das letzte Reservat verschwinden, doch die Art hält  
sich nirgendwo so tapfer wie unter Mexikos Vulkanen.  
 
  
„Der Käfer hat Mexiko motorisiert“, sagt Karig, 1,7 Millionen Vochos wurden hier  
verkauft, ein wahrer Volkswagen. Billig und robust war gefragt in einer Nation,  
deren 100 Millionen Einwohner zur Hälfte in Armut leben und über Straßenlöcher  
hüpfen. Dass das Schlachtross drinnen oft lauter ist als draußen und wahlweise  
eiskalt oder heiß, dass die Scheiben beschlagen und die Kupplung bockt – weniger  
wohlhabenden Mexikanern sind solche Kleinigkeiten so egal, wie sie es einst den  
Nachkriegsdeutschen waren.  
 
  
Der aktuelle Sedan alias Vocho steht mit 77000 Pesos, etwa 6500 Euro, auf der  
Liste, die Konkurrenten sind teurer. Und komplizierter. „Das ist ein burrito“,  
sagt Perez, ein Eselchen. Treu, zuverlässig, pflegeleicht und in Ernstfällen  
Sofortmaßnahmen zugänglich. Die Benzinpumpe lässt sich mit dem Seidenstrumpf  
abdichten, der Türstöpsel mit dem gebogenen Draht anheben, und Ersatz findet  
sich an den interessantesten Orten. Ein Taxifahrer berichtet, er habe einmal in  
der Provinz nach Ersatzteilen gesucht. „In der Apotheke“, hieß es, und da gab es  
sie tatsächlich. Auch von Notgeburten auf dem Rücksitz wird berichtet. Angeblich  
wurde der Vocho nach Unwettern schwimmend gesehen.  
 
  
Allein die Taxifahrer! Nur durch die Stadt Mexiko mit ihren 20 Millionen  
Menschen scheppern 80000 meist grün-weißer Vocho- Droschken. Der Beifahrersitz  
wurde entfernt, was Gästen das Einsteigen im Fond erleichtert und bisweilen auch  
Kriminellen, die ihre Kunden in die Mitte nehmen und zum nächsten Geldautomaten  
befördern lassen. Ältere Baujahre tragen eifrig dazu bei, dem Moloch die Luft zu  
verpesten, weshalb die linke Stadtverwaltung die Dreckschleudern in Rente  
schicken will. Für den Erwerb moderner Viertürer zahlt sie Zuschüsse, die  
Auswahl ist jetzt groß geworden. Der Markt wird überschwemmt, seit Mexiko zur  
nordamerikanischen Freihandelszone gehört. Bei VW ist inzwischen eine eckige  
Kiste mit Frontantrieb der Renner, sie heißt Pointer und wird aus Brasilien  
importiert.  
 
  
So hält die Zukunft Einzug, aber bei Benjamin Perez und seinen Kollegen ist noch  
manches wie früher. Im Presswerk stanzen noch 1000 Kilogramm schwere Stempel aus  
dem Hause Weingarten wie 1964 die Vordertüren aus dem Metall. Am trägen  
Fließband bohren und schrauben unter den Altaren der Jungfrau von Guadalupe noch  
richtige Menschen. Der vormalige Gouverneur von Puebla hat mal gesagt, in seiner  
Gegend gebe es zwei Kunsthandwerke: Eine regionale Bastelarbeit und den Vocho.  
50 Meter weiter justieren computergesteuerte Roboterarme die Modelle Jetta und  
den New Beetle, der nur hier gebaut wird, seit 1998 etwa 625000 Mal. Bei der  
Expo in Hannover stand der Käfer-Enkel im mexikanischen Pavillon und hängt jetzt  
in mehrfacher Ausführung als neue Galionsfigur am Eingang zum VW-Werk.  
Schneller, komfortabler. Und viel teurer.  
 
  
Erinnerung, spring an  
 
  
Es ist ein Jammer. Romantiker werden beim Besuch leicht sentimental, es genügt  
der Geruch von Venyl, das Geräusch der Hupe, das Röhren des Motors. Man erinnert  
sich an nächtliche Urlaubsfahrten und die Panne hinter Innsbruck, zwei Tage  
später war ein neuer Vierzylinder installiert, das lohnte sich beim Käfer. Man  
denkt daran, wie die BMWs im Schneematsch steckten und der Käfer den Berg  
bezwang. Der Begleiter aus der Werbeabteilung berichtet von der Bitte ehemaliger  
VW-Mitarbeiter aus Wolfsburg, sich nochmal hineinzusetzen. „Die erzählen dann  
ihr ganzes Leben.“  
 
  
Die abschließende Vocho-Auflage wird an diesem Donnerstag vorgestellt. Sie trägt  
den Titel „Ultima Edicion“, ist in zwei Farben mit Reminiszenzen wie  
Weißwandreifen zu haben und trägt unter anderem das Logo von Wolf und Burg auf  
dem Lenkrad, für das der Designer einst zehn Pfennig pro Ausgabe bekam. Die  
Nachfrage soll zeigen, wann endgültig Schluss ist, was im günstigen Fall  
vielleicht doch noch dauert. Wenn er darf, dann wird Benjamin Perez jedenfalls  
auch den letzten Vocho bis zum Ausgang begleiten. „Wie einen Sohn“, sagt er.  
Vielleicht gibt er ihm sogar einen Kuss. 
		
	
		
		
		
		
		
	
		
			
			
			
			
				 
			
			
			
			
			
			
				
			
			
		 
		
	
	
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